
Sind Computer die besseren Autofahrer?
April 11, 2014
Von $name
Auto – wie in ‚autonom‘
Für den gestressten Berufspendler wären selbstlenkende Fahrzeuge ein Segen. Ein über das Internet gerufenes Fahrzeug würde vor sein Haus fahren, seinen Körper scannen, seine Laune erkennen und Musik sowie den Sitz perfekt anpassen. Es würde seinen Passagier entspannt zur Arbeit chauffieren, ohne dass er ein einziges Mal auf die Straße schauen müsste. Und weil diese selbstfahrenden Fahrzeuge miteinander kommunizieren und wissen, welche Routen gerade überlastet sind, würden sie praktisch nie im Verkehr steckenbleiben – und deswegen schneller ans Ziel kommen als menschliche Fahrer.
Bereits seit 2010 arbeitet Google daran, autonome Fahrzeuge salonfähig zu machen. Doch noch scheut die breite Masse davor zurück, die Kontrolle über ihr Auto komplett an eine Maschine abzugeben. Die meisten Autohersteller bezeichnen ihre neuen autonomen Funktionen deswegen lieber als „Assistenten“ des Fahrers, die die Verkehrssicherheit und den Fahrkomfort erhöhen. Vor allem die neuen Modelle der deutschen Premiummarken von Volkswagen/Audi, BMW oder Mercedes Benz strotzen vor Sicherheitsfunktionen, vom Spurassistenten bis zum (fast) vollautomatischen Parkassistenten, die den Fahrer – je nach eigener Sichtweise – entweder unterstützen oder entmündigen.
Radaraugen sehen besser
Die schrittweise Einführung dieser Assistenzsysteme bedeutet, dass der Mensch am Steuer zunehmend die Kontrolle über sein Fahrzeug abgibt. Bis zu dem Punkt, an dem diese Systeme eben nicht mehr nur helfen, sondern die Steuerung eines Autos komplett übernehmen können. Das wird zwar nicht von heute auf morgen geschehen. Aber Schritt für Schritt wird sich abzeichnen, dass (halb-)autonome Fahrzeuge schlicht besser und sicherer fahren als Menschen. Weil sie viel mehr Informationen sammeln und in Echtzeit auswerten können als Fahrer aus Fleisch und Blut, die sich im Wesentlichen auf zwei Sensoren beschränken müssen: das linke und das rechte Auge.
Autonome Fahrzeuge dagegen sind miteinander vernetzt und wissen zu jeder Zeit, wo sich gerade welches Auto aufhält. Sie können Dank Radar durch dichten Nebel schauen, kontinuierlich und auf den Zentimeter genau den Abstand zum Vordermann messen und vorausschauend reagieren. Bis zu 95 Prozent aller Unfälle könnten vermieden werden – so lange und soweit die Technik hält, was sie verspricht.
Nicht nur Menschen versagen
Und genau darin liegt das Problem und die Befürchtung vieler Fahrer: Auch Maschinen sind nicht unfehlbar. Denn sie werden von Menschen mit all ihren Fehlern und Schwächen entwickelt und gebaut. Darüber hinaus sind sie potenziell anfällig für Störungen oder Angriffe von außen, z.B. von Hackern, die mit einer gezielten Attacke einzelne Autos oder gleich das gesamte Verkehrsnetz einer Stadt lahmlegen könnten. Dann müsste der Passagier wieder zum Fahrer werden und die Kontrolle übernehmen können. Bleibt die Frage, ob in einer fahrerlosen Zukunft überhaupt noch jemand weiß, wie man ein Auto lenkt.
Denn der langwierige und immer wieder aufflammende Tarifkonflikt der Deutschen Bahn mit ihren Zugführern hat gezeigt, dass Praxiserfahrung immer unwichtiger wird, wenn Assistenzsysteme die Hauptrolle übernehmen. Die Bahn argumentiert nämlich, dass sich Züge heute zum größten Teil selbst lenken, und der Lokführer in den Hintergrund tritt. Das allerdings könnte langfristig bedeuten, dass junge Lokführer kaum die notwendige Praxiserfahrung sammeln können. In Extremsituationen, zum Beispiel, wenn nach Jahren der Fremdsteuerung alle computergesteuerten Systeme versagen, könnten sie damit überfordert sein, einen Zug rein mechanisch zu lenken. Das Gleiche könnte den Passagieren von autonomen Fahrzeugen widerfahren, wenn sie zwar irgendwann einmal ihren Führerschein gemacht haben, aber seitdem kaum selbst gefahren sind.
Die Frage, was wir denn tun werden, wenn unsere unfehlbar geglaubten autonomen Fahrzeuge versagen, werden wir noch beantworten müssen. Was wir allerdings jetzt schon wissen, ist, dass sie uns dabei helfen könnten, unser Klima zu schützen.
Bessere Luft durch weniger Autos?
Autonome Fahrzeuge könnten den Ausstoß von Treibhausgasen dramatisch senken. Momentan stößt der Straßenverkehr 71 Prozent aller klimaschädlichen Gase in der EU aus. Die europäische Gemeinschaft will diese Emissionen reduzieren und setzt dabei, neben Elektroautos, auf intelligente Städte mit autonomen Fahrzeugflotten.
Gleich mehrere Versuche haben gezeigt, dass Autos, die automatisiert im Konvoi fahren, bis zu 30 Prozent weniger Sprit verbrauchen als individuell gesteuerte Fahrzeuge. Das liegt daran, dass sie Dank der geregelten Geschwindigkeit der Gruppe seltener bremsen und beschleunigen müssen. Zudem kann der Großteil des Konvois im Windschatten des ersten Autos fahren, was zusätzlich Kraftstoff spart.
Wenn wir dann noch auf unsere eigenen Autos verzichten und stattdessen autonome Fahrzeuge mieten würden, und zwar nur dann, wenn wir sie auch wirklich brauchen, bräuchten wir insgesamt sehr viel weniger Autos. Eine Studie der University of Texas in Austin hat ermittelt, dass ein selbststeuerndes Auto bis zu elf Autos im Privatbesitz ersetzen könnte.
Worauf warten wir eigentlich?
Das fahrerlose Auto von Google ist in Kalifornien bereits seit September 2012 zu Testzwecken zugelassen, und die neue S-Klasse von Mercedes hat angeblich so viele Assistenzsysteme an Bord, dass sie auch ohne einen Fahrer auskommen könnte. Warum fahren wir unsere Autos also immer noch selbst? An der Infrastruktur jedenfalls liegt es nicht. Die Handvoll autonomer Fahrzeuge, die bereits auf unseren Straßen fahren, brauchen keine speziellen Straßen oder Schilder. Das Mobilfunknetz und damit die Reichweite des Internets ist in Europa nahezu flächendeckend, die Lokalisierung des Fahrzeugs ist über GPS oder zumindest grob über Triangulation im Mobilfunknetz möglich, und hochaufgelöste Karten gibt es auch schon seit Jahren. Woran also hängt es?
Geht es nach gültigem Recht, ist die Antwort ganz einfach: „Nach gegenwärtiger Rechtslage, die ihre Grundlage im ‚Wiener Straßenverkehrsabkommen‘ von 1968 hat, sind Fahrzeuge ab einem gewissen Autonomiegrad „gar nicht zulassungsfähig“, sagt Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf von der Uni Würzburg. Seine Forschungsstelle „RobotRecht“ untersucht die juristischen Aspekte des EU-Projekts AdaptIVe (Automated Driving Applications and Technologies for Intelligent Vehicles), in dem sich 29 Forschungseinrichtungen, Zuliefererfirmen und Automobilhersteller zusammengeschlossen haben, um neue und integrierte automatische Funktionen zu entwickeln, die dazu beitragen, die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Das Recht muss also erst noch an die verfügbare Technik angepasst werden.
Wer ist schuld, wenn es kracht?
Aus rechtlicher Sicht sind bereits teilautonome Fahrzeuge problematisch, sagt Hilgendorf. Fahrzeuge ganz ohne aktiven Fahrer werfen zusätzliche Fragen auf: Wer haftet, wenn eine automatische Einparkhilfe einen Unfall verursacht? Wer besitzt die Rechte an den Daten im Unfalldatenspeicher? Darf ein Hersteller Kundendaten an Datenhändler verkaufen? Wie reagiert die Rechtsprechung auf Versuche von Hackern, ein Fahrzeug ohne Erlaubnis des Fahrers zu manipulieren?
Hersteller wie z.B. Volkswagen sind deswegen noch vorsichtig. Auch wenn die Einparkhilfe aus Wolfsburg wohl schon vollautonom arbeiten könnte, muss der Fahrer weiterhin zumindest den Gang einlegen und selbst Gas geben – die Verantwortung verbleibt letztendlich beim Fahrer. Richtungsweisend könnte wiederum der US-Bundesstaat Kalifornien sein. Dort arbeitet der Gesetzgeber an detaillierten rechtlichen Ausführungen zu autonomen Fahrzeugen, die voraussichtlich im Januar des kommenden Jahres vorgelegt werden. Es wäre der weltweit erste rechtliche Rahmen speziell für fahrerlose Autos, und Erfahrungen damit würden die Gesetze anderer Staaten beeinflussen, vor allem in Hinblick auf die Haftung bei Unfällen und Straftaten.
Was bedeutet das für die Versicherer?
Wer die Schuld trägt, ist mit die wichtigste Frage bei jedem Versicherungsfall. Unfalldatenspeicher, auch Black Boxes genannt, helfen dabei, die Ursachen und den Ablauf z.B. eines Flugzeugabsturzes zu rekonstruieren, weil sie das Verhalten eines Flugzeugs zu jeder Zeit detailliert aufzeichnen. Das fahrerlose Auto von Google hat bereits eine solche Black Box an Bord, und diese Geräte werden Versicherern in Zukunft bei der Klärung der Schuldfrage bei Unfällen autonomer Fahrzeuge helfen. Schon heute bieten manche Versicherer bessere Konditionen an, wenn der Besitzer eines Autos eine Black Box einbaut oder auch schon, wenn es mit Assistenzsystemen ausgestattet ist.
Zudem werden Versicherer ihre Risikomodelle anpassen müssen. Zum Beispiel an die Tatsache, dass Hacker vorbeifahrende, voll autonome Fahrzeuge kapern und für Straftaten missbrauchen können. Im schlimmsten Fall könnten Terroristen einen ganzen Konvoi oder gleich alle Fahrzeuge einer Stadt übernehmen. Solche Risiken müssen Versicherungspolicen in Zukunft berücksichtigen.
Ähnliches gilt für die (neuen) Haftungsszenarien und den Versicherungschutz der Autohersteller. So wie heute schon Flugzeuge, müssen autonome Fahrzeuge absolut verlässlich und sicher fahren können. Und so wie heute schon Flugzeuge, werden auch die höchsten Qualitätsstandards nicht vermeiden können, dass selbstlenkende Fahrzeuge ab und an versagen, mit machmal fatalen Konsequenzen. Gegen derartige Szenarien müssen Hersteller abgesichert werden, denn wenn ein von ihnen entwickeltes System am Steuer sitzt, werden Sie häufiger im (Haftungs-)Fokus stehen.
Grüner, sicherer, bequemer?
Kann gut sein, dass uns unsere Enkel ungläubig anschauen werden, wenn wir ihnen erzählen, dass wir unsere Autos “damals” selbst gefahren haben, oft bei über hundertfünfzig Sachen auf der Autobahn, ganz ohne Assistenzsysteme. So, wie wenn wir ihnen erzählen, dass wir als Kinder keine Handys hatten, geschweige denn das Internet.
Aber das Auto ohne Fahrer kommt, sobald der Gesetzgeber die entsprechende Rechtssicherheit für Hersteller, Betreiber und Passagiere schafft. Der technologische Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Und Hand aufs Herz: wer will das auch? Autonome Fahrzeuge könnten uns Arbeit abnehmen, Zeit zum Entspannen geben, besser fahren, schneller ans Ziel kommen und den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen deutlich reduzieren.
Exklusiv-Interview mit Harald Knothe zum autonomem Fahren: Risikoszenarien für Versicherer
Harald Knothe ist É«¶à¶àÊÓÆµ Client and Distribution Leader für XL Group in Deutschland.
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