
Endlich wieder Publikum: Herausforderungen und Chancen bei der Wiedereröffnung von Museen
July 02, 2020
Von Jennifer Schipf & Dietmar Telschow
Jennifer Schipf, Global Practice Leader-Art & Dietmar Telschow, Underwriting Manager Deutschland Fine Art, Specie and Bloodstock
Kunst persönlich zu erleben ist unvergleichlich.
Als ich Vincent van Goghs Gemälde „Ernte in der Provence“ zum ersten Mal gesehen habe, war ich von der Wirkung der kontrastreichen Farben und der einfachen Formen zutiefst beeindruckt. Ich dachte eigentlich, dass ich durch Beschreibungen und Abbildungen eine gute Vorstellung von dem Werk hatte. Aber es war ein sehr bewegender und emotionaler Moment, das Werk in natura zu sehen.
Meine Erfahrung ist nicht ungewöhnlich. Jeder, der sich regelmäßig Kunst in einem Museum, einer Galerie oder auf einer Kunstmesse anschaut, kann eine ähnliche Geschichte erzählen. Leider konnten Museumsbesuche während der Schließung wegen COVID-19 nur online stattfinden. Viele Museen haben großartige virtuelle Rundgänge durch ihre Sammlungen zusammengestellt. Doch auf dem Bildschirm ist die Wirkung ganz anders: Vor einem Kunstwerk zu stehen und die verschiedenen Emotionen zu spüren und aufzusaugen, die es in einem hervorruft, ist einfach unersetzlich.
Schwierige Zeiten
Als das öffentliche Leben angesichts von COVID-19 plötzlich zum Erliegen kam, sahen sich Museumsdirektoren von heute auf morgen mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Es ging darum, die Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeiter zu gewährleisten und die Kunstwerke zu schützen (siehe dazu auch unseren Artikel: „Schutz von Sammlungen in Museen und Galerie während des Corona Shutdowns“ )Außerdem müssen Museen mit den finanziellen Folgen und den Auswirkungen auf die Geschäftskontinuität umgehen.
Inzwischen kehren wir langsam zur „neuen Normalität“ zurück. Dabei unterscheiden sich das Tempo und die Bedingungen von Land zu Land, zum Teil sogar innerhalb der einzelnen Länder.
War es leichter, die Türen zu schließen, als sie wieder zu öffnen? In den Ländern und Städten, die sich langsam aus dem „Lockdown“ begeben, lässt sich das zumindest beobachten. Erste Berichte zeigen, dass es nicht reicht, lediglich die Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz zurückzuholen und die Türen zu öffnen. Um den Besuchern eine lohnende Museumserfahrung zu bieten und gleichzeitig für die Sicherheit aller zu sorgen, braucht es mehr.
Zunächst müssen Museen vor der Wiedereröffnung ihre gesamten Räumlichkeiten und Einrichtungen desinfizieren. Dies ist täglich zu wiederholen. Dabei müssen sie behutsam vorgehen, da Kunstwerke durch Desinfektionsmittel auf der Basis von Bleiche oder oxidierenden Wirkstoffen beschädigt werden könnten. Als Alternative bieten sich Desinfektionsmittel auf der Grundlage von antibakteriellen, ätherischen Ölen an.
Zudem müssen Museumsdirektoren im gesamten Gebäude Handdesinfektionsmittel zur Verfügung stellen und Abstandsregeln festlegen. Da die Anzahl der Besucher eingeschränkt ist, müssen sie sich für ein bestimmtes Zeitfenster vorab anmelden.
Das Umsetzen von Abstandsregeln durch Beschilderungen und Bodenmarkierungen stellt eine Herausforderung dar, da Sicherheit und Ästhetik gegeneinander abgewogen werden müssen. Es gilt also, Richtungsmarkierungen so zu gestalten, dass sie möglichst unaufdringlich sind und sich in die Atmosphäre des Museums einfügen.
Hinzu kommt die Frage der Gesichtsmasken. In Deutschland, wo mittlerweile die Museen wiedereröffnet wurden, müssen die Besucher in der Regel Masken tragen.
Und wie verhält es sich mit wichtigen Ausstattungsgegenständen, wie Audioguides und interaktiven Displays? Und mit Cafés und Museumsläden? Für viele gehören sie einfach zu einem Museumsbesuch dazu, in einigen Fällen sind sie auch wichtige Einnahmequellen.
Dazu zwei Beispiele:
Ein Museum in Zürich stellt weiterhin Audioguides zur Verfügung. Das Museum versichert, dass diese vor und nach jeder Nutzung desinfiziert würden, so wie dies übrigens immer der Fall gewesen sei. Auch der Museumsladen und das Café sind weiterhin geöffnet. Mit dem Unterschied, dass bei Selbstbedienung nun Plexiglas-Wände Mitarbeiter und Besucher voneinander trennen und die Anzahl der Tische reduziert wurden.
Verschiedene Museen in München verzichten derzeit auf die Ausgabe von Geräten. Dafür können in der die Inhalte des Audioguide kontaktlos und kostenfrei als Web-App mit dem eigenen Smartphone abgerufen werden.
Die Museumsshops und Museumscafés sind auch wieder geöffnet. Auch hier gelten die allgemein verbindlichen Abstandsregeln.
Besucher anziehen und begeistern
Wenngleich sich die finanzielle Lage und die Förderquellen der Museen stark unterscheiden, müssen sie nun mit verringerten Einnahmen rechnen. Die Touristenströme dürften bis auf Weiteres ausbleiben. Sonderausstellungen, Mitglieder- und Benefizveranstaltungen sowie ähnliche Aktivitäten werden höchstwahrscheinlich eingeschränkt oder gar nicht stattfinden. Auch für die öffentlichen Fördermittel sieht es nicht rosig aus: Angesichts der außergewöhnlichen finanziellen Belastungen der Regierungen besteht die Gefahr, dass sie deutlich reduziert werden.
Wie gelingt es Museen, trotz dieser veränderten Umstände ihr Publikum weiter anzuziehen und zu begeistern? Viele von ihnen haben während des „Lockdowns“ neue Erkenntnisse gewonnen. Sie werden sie für weitere kreative und digitale Formen nutzen, um damit ihr Publikum zu begeistern. So veranstaltete beispielsweise ein Museum in Washington D.C. kürzlich eine virtuelle Veranstaltung, die von Teilnehmern aus aller Welt besucht wurde. Es zog somit ein viel größeres und vielfältigeres Publikum an, als dies bei einer Veranstaltung vor Ort möglich gewesen wäre. Durch diese positive Erfahrung plant das Museum nun, alle zukünftigen Veranstaltungen auch virtuell zugänglich zu machen
Auf der anderen Seite begünstigen die Räumlichkeiten vieler Museen bereits von sich aus Abstandsregeln. Jüngste Untersuchungen zeigen, dass Museumsbesucher mit wesentlich weniger Menschen interagieren und deutlich seltener Oberflächen berühren als zum Beispiel in Restaurants, Einkaufszentren, Fitnesscentern, Freizeitparks etc.
Neues Publikum für Museen?
Dies wirft eine spannende Frage auf: Werden weniger auswärtige Besucher teilweise durch mehr lokale Besucher kompensiert? Etwa durch solche, die nach einer Alternative für abgesagte Sportveranstaltungen, Konzerte, Festivals und ähnliche Aktivitäten suchen? Und zieht man dadurch Menschen ins Museum, die dort normalerweise nicht zu finden sind? Sie könnten Besuche in Museen und Galerien in Erwägung ziehen, die sie sonst aufgrund der Touristenströme meiden. Und sich darauf freuen, den Ort für sich zu haben.
Die Zeit wird es zeigen. Trotz aller Umstände eröffnet sich hier eine Chance für Museen, neues Publikum hinzuzugewinnen und gleichzeitig die Beziehung zu den Besuchern auszubauen.
So bieten beispielsweise verschiedene Museen in München mit ihrem starken, digitalen Angebot Menschen aus aller Welt einen Zugang zu Kunst. Gleichzeitig sprechen sie damit sicher auch eine jüngere Generation an, die so einen Weg zur Kunst finden und ausbauen kann.
Eine einladende Oase
Trost, Inspiration und Hoffnung, die jeder auf seine Weise aus der Kunst schöpft, sind heutzutage wichtiger denn je.
Museen können Oasen sein und uns eine Ruhepause von der Außenwelt schenken. Auch wenn wir mit unseren Familien oder Freunden ins Museum gehen, handelt es sich doch immer um eine ganz persönliche Erfahrung, die jeder anders wahrnimmt.
Eine andere Frage: Werden Museen sich auf die einfache Interaktion zwischen Besucher und Kunstwerk zurückbesinnen? Über viele Jahre haben sie erheblich in Projekte investiert, die nun möglicherweise für einige Zeit nicht nutzbar sein werden. Dazu gehören Großveranstaltungen oder interaktive, multisensorische Aktivitäten. War dies eine effiziente Methode, um ein treues Publikum zu gewinnen, zählt nun etwas Grundlegenderes: Sicherheit, Einfachheit und die Wirkung, die großartiges Kunstwerk in der Realität entfalten kann.
Viele Museumsdirektoren haben mit wirtschaftlichen und kuratorischen Herausforderungen zu tun, die über den Kernbereich unserer Kunstexperten und Risikoberater hinausgehen. Dennoch bietet É«¶à¶àÊÓÆµumfassende Beratung und Unterstützung für Museen auch gerade in dieser Zeit. Zum Beispiel bewerten wir Sicherheitssysteme, -verfahren und Maßnahmen, ebenso wie die Hygienepraxis. Die Sicherheit der Mitarbeiter, Besucher und Kunstsammlungen ist von zentraler Bedeutung für Museen. Wir unterstützen Sie dabei, dieser grundlegenden Anforderung nachzukommen.
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