
Ein möglicher Nebeneffekt des Lockdowns: Legionellen
July 06, 2020
Von Joachim Keck
Casualty Risk Consultant
COVID-19 ebbt in Teilen der Welt ab und zumindest der Schein eines „normalen“ Lebens kehrt allmählich zurück. Im Kampf gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 haben wir jedoch möglicherweise unbeabsichtigt Bedingungen geschaffen, unter denen ein anderer potenziell tödlicher Erreger – in diesem Fall ein Bakterium – gedeihen kann.
Ich weiß, Sie denken: „Na toll, gerade wurde uns das Okay gegeben, wieder vor die Tür zu gehen, und jetzt gibt es wieder etwas, worüber wir uns Sorgen machen sollen?“
Die Antwort lautet leider: Ja. Aber auch wenn das Risiko tatsächlich vorhanden ist, kann es in den meisten Fällen durch einfache Maßnahmen ausgeräumt werden, die normalerweise so gut wie nichts kosten.
Stehendes Wasser ist schlechtes Wasser
Die neue Gefahr geht von Legionella pneumophila aus, einem in vielen Umgebungen verbreiteten Erreger, der in Wasserleitungen und Kühltürmen besonders gut gedeiht. Vor allem, wenn das Wasser nicht fließt. So etwa während eines Lockdowns, wenn Einrichtungen geschlossen sind.
Legionellen sind eine Gattung weltweit verbreiteter, stäbchenförmiger Bakterien, die in der Natur in Oberflächen- und Grundwasser vorkommen, meist in geringer Anzahl. Ihren Namen erhielten sie aufgrund ihrer Entdeckung im Zusammenhang mit einem Kongress der „American Legion“ (einer Vereinigung von US-Militärveteranen) im Jahr 1976, bei dem 221 Teilnehmer erkrankten und 34 Menschen starben. Der auslösende Erreger war ein zuvor unbekanntes Bakterium, das später Legionellen genannt wurde.
Die heute als „Legionärskrankheit“ (medizinisch Legionellose) bezeichnete Erkrankung ist keine Seltenheit. In Deutschland erkranken schätzungsweise 15-30 Tsd. Menschen pro Jahr an der Krankheit, während es in den USA jährlich etwa 100 Tsd. Fälle gibt. Diese Zahlen sind jedoch wahrscheinlich zu niedrig angesetzt, da Ärzte bei der Behandlung von Patienten mit Lungenentzündung die Legionellose möglicherweise nicht in Betracht ziehen.
Die Legionärskrankheit weist mehrere Ähnlichkeiten mit COVID-19 auf, aber auch einige wichtige Unterschiede. In beiden Fällen wird die Krankheit durch Einatmen von Tröpfchen oder Aerosolen verursacht, die den Erreger enthalten. Bei COVID-19 ist die Quelle eine infizierte Person. Bei der Legionellose hingegen geht die Gefahr vom Wasser aus, das mit Legionellen verunreinigt ist, die dann in die Luft freigesetzt werden. Häufige Quellen sind Duschen, Luftbefeuchter, Whirlpools und sogar Wasserhähne. Stellen Sie sich vor: Eine Person, die sich ihre Hände wäscht, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, könnte unbeabsichtigt Legionellen enthaltende Wassertröpfchen in die Luft abgeben.
Auch hinsichtlich der Inkubationszeit ähneln die Krankheiten einander: Diese beträgt 2-10 Tage bei der Legionellose und 1-14 Tage bei COVID-19. Menschen mit geschwächtem Immunsystem sowie Senioren und Raucher sind zudem einem höheren Risiko ausgesetzt. Männer scheinen häufiger betroffen zu sein als Frauen, Kinder wiederum nur selten.
Wie COVID-19 macht sich die Krankheit durch Husten, Schüttelfrost, Kopfschmerzen und hohes Fieber bemerkbar. Die Sterblichkeit durch Legionellose ist jedoch höher. Nach Angaben der U.S. Centers for Disease Control and Prevention liegt die Sterblichkeitsrate bei etwa zehn Prozent. Bei Patienten, die sich in einer medizinischen Einrichtung infizieren, erreicht die Sterblichkeit sogar annähernd 25 Prozent.
Es gibt auch eine mildere Form der Legionellose, das sogenannte Pontiac-Fieber, das seltener auftritt und mit grippeähnlichen Symptomen wie Fieber, Unwohlsein, Kopf- und Gliederschmerzen einhergeht. Der Verlauf dieses abgeschwächten Typs ist nicht tödlich. Es kommt zu keiner Lungenentzündung und die Krankheit verschwindet in der Regel nach einer Woche von selbst.
Anders als bei COVID-19 – und das ist ein wichtiger Unterschied – sind weder die Legionärskrankheit noch das Pontiac-Fieber hochansteckend. Eine infizierte Person überträgt diese Krankheiten nur selten auf eine andere.
Unerforschte Gewässer
Legionellen vermehren sich am stärksten bei Temperaturen zwischen 25 °C und 45 °C. Bei Temperaturen über 60 °C sterben sie ab und unterhalb von 20 °C vermehren sie sich kaum.
Obwohl Wasserleitungen und Kühltürme ideale Bedingungen für die Bakterien bieten, ist das Risiko, dass sie sich hier ansiedeln oder vermehren, in der Regel sehr gering. Die ständige Zufuhr von Frischwasser und die gelegentliche Einspeisung von sehr heißem oder sehr kaltem Wasser halten die Legionellen in Schach. Eine ähnliche Wirkung hat der Zusatz von Chlor oder anderen Desinfektionsmitteln in der Wasserversorgung.
Wenn jedoch Wasser in einem Gebäude zu lange stillsteht, werden Desinfektionsmittel unwirksam und das Ökosystem innerhalb der Rohrleitungen verändert sich. Gleiches gilt für stillgelegte Klimaanlagen und industrielle Anlagen, in denen Wasser als Medium für den Wärmeaustausch dient.
Diese Situation ist heute in unzähligen, seit längerem stillgelegten Gebäuden weltweit zu beobachten. Betroffen sind nicht nur Bürogebäude und Fertigungs-/Montagebetriebe, sondern etwa auch Hotels oder Einrichtungen des Einzelhandels.
Weder deren Wasserversorgungs- noch ihre Kühlsysteme sind für Bedingungen des Stillstands ausgelegt. Wissenschaftler und Gesundheitsbehörden weisen zudem darauf hin, dass die Folgen eines langen Stillstands weitgehend unbekannt sind. Wie einer von ihnen feststellte, sind noch keine Studien über monatelange Stillstandszeiten durchgeführt worden. Hier bewegen wir uns buchstäblich in unerforschten Gewässern.
Testen – Spülen – Desinfizieren
Unternehmen sind verpflichtet, für die Sicherheit und das Wohlergehen ihrer Mitarbeitenden, Kunden und Lieferanten zu sorgen. In Bezug auf die Legionärskrankheit beinhaltet dies angemessene Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass das Wasser in einer Einrichtung – ganz gleich an welcher Stelle – keine gesundheitsschädlichen Mengen an Legionellen enthält. Im Folgenden werden die gängigen Verfahren skizziert, die üblicherweise angewendet werden, um einer Vermehrung von Legionellen entgegenzuwirken.
Zum Glück wurden viele Gebäude während des Lockdowns nicht vollkommen stillgelegt. Zumindest in einem Teil dürfte das Sicherheits- und Wartungspersonal in regelmäßigen Abständen gewisse Aufsichtspflichten erfüllt haben. Das Gebäude kann in der Regel ohne zusätzliche Maßnahmen wieder geöffnet werden, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- das Wassersystem wurde zumindest alle drei Tage durchspült
- die Wassertemperaturen an den Wasserhähnen wurden überprüft und erreichen mindestens 55 °C
- während des Lockdowns durchgeführte mikrobiologische Tests zeigten keine signifikante Veränderung des Bakterienaufkommens.
In Gebäuden, die mindestens sieben Tage lang nicht genutzt wurden – und insbesondere in solchen, in denen die Wasserleitungen und die entsprechenden Wasser führenden Systeme länger als einen Monat abgeschaltet waren – muss das Wasser getestet und ggf. durchgespült und desinfiziert werden. Mindestens an den folgenden Stellen sollten Proben entnommen werden:
- Vor- und Rücklauf der Warmwasserbereitungsanlagen (Zirkulation)
- alle Endpunkte der Warmwasserleitungen in verschiedenen Gebäuden oder Stockwerken
- alle Entnahmestellen, die bei der orientierenden Untersuchung auffällig sind
- Kaltwasserversorgung- und Rohrleitungsteile mit Erwärmung über 25 °C
- alle Entnahmestellen mit stehendem Wasser.
Wenn bei der Kontrolle in einer Probe von 100 ml mehr als 100 koloniebildende Einheiten (KbE) von Legionellen festgestellt werden, gilt das Wasser als kontaminiert, und das gesamte System muss mindestens drei Minuten lang gründlich mit heißem Wasser (65–70 °C) gespült werden. Dies ist jedoch in Kaltwassersystemen nicht immer möglich; in diesen Fällen ist eine chemische Desinfektion erforderlich.
Bei Konzentrationen über 10.000 KBE/100 ml sind sofort weitere Gegenmaßnahmen erforderlich, z. B. durch chemische Desinfektion. Die chemische Desinfektion muss das gesamte Trinkwassersystem umfassen. Die Anlage muss mit zugelassenen Chemikalien wie Chlor, Chlordioxid, Calcium- oder Natriumhypochlorit oder Ozon gespült werden. Dieser Prozess sollte von einem Fachunternehmen durchgeführt werden. Das Wasser ist während der Desinfektion nicht trinkbar.
Alle diese Vorkehrungen – Prüfung, Spülung, Desinfektion – sind auch für Kühltürme, Klimaanlagen und alle anderen Anlagen oder Geräte mit Wasserspeichern zu treffen.
Ein Ausbruch der Legionärskrankheit ist insgesamt für Unternehmen weitaus einfacher und kostengünstiger zu verhindern als die Ausbreitung des Coronavirus. Das Testen auf Legionellen und, falls erforderlich, das Ausspülen oder Desinfizieren von Trink- und Brauchwasser sollte ein grundlegender Bestandteil aller Pläne zur Wiederaufnahme des Betriebs sein. COVID-19 hat bereits genug Menschenleben gefordert, sodass vermeidbare weitere Opfer als Folge dieser Pandemie verhindert werden sollten.
Hinweis: Wenn Sie Fragen zu den möglichen Auswirkungen des Lockdowns auf Ihren Betrieb oder speziell zur Legionärskrankheit haben, wenden Sie sich bitte an unsere Risikoberater im Bereich Haftpflicht.
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